Barrierefreies E-Learning: Das gilt es zu beachten

2. November 2022 11 Minuten Lesezeit E-LearningTipps & Tricks

Susanne Heindl
Learning Consultant &
Projektleiterin

Was Sie aus diesem Artikel mitnehmen

  • Warum Barrierefreiheit im E-Learning wichtig ist
  • Welche Barrieren es im E-Learning gibt
  • Wie man barrierefreie digitale Trainings entwickeln kann

Warum ist Barrierefreiheit wichtig?

Digitale Trainings sind zum Glück von Haus aus barrierefrei – oder? Schließlich steht kein schwer durchdringlicher Weg zum Seminarraum an, Treppen oder Hindernisse im ÖPNV kommen nicht zum Tragen: es können somit alle an digitalen Lerninhalten teilhaben. Leider sieht die Realität anders aus. Denn auch im E-Learning findet sich oft eine Vielzahl an Barrieren, die vielen Arbeitnehmenden den Zugang zu diesen Lerninhalten erschwert – oder gar unmöglich macht.

Rund 57 % der Menschen mit Behinderung zwischen 15 und 64 Jahren sind in den Arbeitsmarkt integriert. Je nach Behinderung bzw. Grad der Behinderung gestaltet sich dies jedoch schwierig, da sich ihnen viele Barrieren in den Weg stellen. So divers wie die Ursachen der Einschränkungen sind, sind nämlich auch die Hindernisse, die den (Arbeits-)Alltag von Menschen mit Behinderung erschweren – auch im digitalen Kontext. Nicht zu vergessen, dass sich andere Formen von Barrieren auftun können, auch für Menschen ohne Behinderung – sei es durch Sprache, Wissensstand, physische Gegebenheiten oder äußere Umstände.

Barrieren im E-Learning und wie man sie beseitigen kann

Während digitale Trainings den Vorteil mit sich bringen, dass Lernende sie überall absolvieren können, können sie eine Vielzahl anderer Barrieren mit sich bringen. Anders als bei Gebäuden sind Hürden im E-Learning nicht räumlicher, sondern meist kommunikativer Art. Das heißt, Betroffene haben Schwierigkeiten sich durch die E-Learnings zu navigieren, aufgrund einer Behinderung, einer chronischen Erkrankung oder anderen Beeinträchtigungen.

Zertifizierungen und internationale Guidelines können als Orientierungshilfe bei der Erstellung von E-Learnings dienen und darüber hinaus ein Gütesiegel für das eigene Unternehmen darstellen. Eine mögliche Zertifizierung für barrierefreie digitale Inhalte sind hierbei die Web Content Accessibility Guidelines „WACG 2.1“. In den WACG 2.1 Level AA („Acceptable Compliance") wird zum Beispiel festgelegt:

Farbkontrast:

Der Farbkontrast sollte mindestens 4.5:1 betragen, um die Lesbarkeit zu optimieren.

Alternativtext:

Alternativtext (kurz Alt-Text) oder ähnliche Lösungen zur Beschreibung von Grafiken, die eine wichtige Bedeutung haben.

Navigation:

Zur intuitiven Navigation müssen die Navigationselemente über das gesamte Training einheitlich sein.

Eingabefelder:

Eingabefelder müssen akkurate und aussagekräftige Beschreibungen haben.

Hierarchie:

Überschriften werden zur einfachen Orientierung in einer logischen Reihenfolge benutzt.

Im Folgenden stellen wir Ihnen die häufigsten Barrieren im E-Learning vor und zeigen Ihnen, wie Sie die oben genannten WACG 2.1 Anforderungen erfüllen und Ihre digitalen Trainings barrierefrei – oder zumindest so barrierearm wie möglich – gestalten können:

Barrieren für Menschen mit Sehbehinderung beseitigen

Lernende mit schwerer Sehbehinderung, oder blinde Lernende, können den Folientext und Visualisierungen in Form von Bildern, Animationen oder Videos nicht wahrnehmen. Aber auch die Menüstruktur, Buttons und Interaktionen können Probleme bereiten.

Die Lösung: Audiobeschreibungen & assistive Technologien

Diese Barrieren können überwunden werden, in dem Lernende die Inhalte auditiv oder über eine Braillezeile ausgegeben bekommen. Konzipieren Sie E-Learnings so, dass diese für Screenreader optimiert sind. Dies können Sie umsetzen, in dem Sie sogenannte Alt-Texte für Bilder und Grafiken entwickeln und Felder und Buttons sollten einen klaren Beschreibungstext haben. Achten Sie außerdem auf die Hierarchie und Reihenfolge des Inhalts. Definieren Sie, in welcher Reihenfolge der Screenreader die Elemente vorlesen soll.

Außerdem sollte bedacht werden, auch eventuelle Downloads oder Links aus dem Training barrierefrei zu gestalten. Links im Text sollten zum Beispiel nicht einfach durch eine farbliche Hervorhebung vom normalen Text unterschieden werden, es muss mindestens eine weitere visuelle Unterscheidung geben. Diese kann zum Beispiel eine Unterstreichung sein, das ist die gängigste Konvention, oder auch ein vorangestelltes Symbol – oder beides. Auch sollten Linktexte eindeutig sein. Statt „Jetzt herunterladen“, sollten Sie also z. B. „E-Learning Hacks Whitepaper herunterladen“ schreiben.

Für Lernende, die eingeschränkt sehen können, ist es hilfreich auf ausreichend große Schrift (mindestens 12 pt., besser 14 pt. oder 16 pt.) und Bedienelemente mit kontrastreicher Farbgestaltung zu achten. Mehr Kontrast und Größe bedeutet, dass die Schrift einfacher zu lesen ist. Außerdem ist eine Zoomfunktion hilfreich für diejenigen, die etwas mehr Unterstützung benötigen.

Barrieren für Menschen mit Hörbehinderung beseitigen

Für Menschen mit einer Hörbehinderung sind Sprechtexte eine typische Barriere.

Die Lösung: Untertitel

Untertitel mit einer hörbehindertengerechten Transkription, z.B. in Form von Closed Captions (CC), können dieses Problem lösen. Der Unterschied zwischen Untertiteln und CC ist, dass bei letzterem nicht nur der Dialog verbildlicht wird, sondern auch relevante Sound-Effekte und Musik beschrieben werden. Je nach Grad der Einschränkung kann aber auch ein langsames Sprechtempo mit deutlicher Aussprache zur Lösung beitragen.

Beispiel-Training: Dieser DSGVO-Kurs hat sowohl einen Sprecher als auch Untertitel, so dass es Menschen mit einer Hör- oder Sehbehinderung den Zugang zum Training erleichtert.

Barrieren für Menschen mit motorischen Einschränkungen beseitigen

Für Lernende, die mit motorischen Aufgaben Schwierigkeiten haben, können Interaktionen Probleme bereiten. Das kann bei der Navigation durch das Training beginnen, das Klicken von Buttons umfassen und im Speziellen bei Aufgaben wie Drap and Drop eine Barriere darstellen.

Die Lösung: Design der Benutzeroberfläche anpassen

Große Buttons (mindestens 44 Pixel Klickfläche) und eine einfache Navigation sind hier eine einfache Hilfe. Während Interaktionen für den Lernerfolg durchaus wichtig sein können, sollte deren Einsatz und Form im Einzelfall überdacht werden.

Sonstige Barrieren beseitigen

Barrieren entstehen jedoch nicht immer durch eine Behinderung. Sie können beispielsweise auch durch Sprache aufgebaut werden – sei es, dass der oder die Lernende die Sprache nicht gut beherrscht, oder mit Fachbegriffen nicht vertraut ist. Es empfiehlt sich also, möglichst einfache Sprache zu verwenden, kurze Sätze, das Sprechtempo zu verlangsamen und Untertitel zu verwenden.

Auch unterschiedliche Wissensstände in einem bestimmten Fachgebiet und mangelnde digitale oder Lern-Kompetenzen können Hürden darstellen. Diese Barrieren können Sie zum einen durch eine klare Kommunikation der Vorteile für die Lernenden beseitigen, aber auch durch das Angebot einer festen Ansprechperson, die bei Fragen und sonstigen Anliegen zur Verfügung steht.

Außerdem können Barrieren durch äußere Umstände entstehen: Lernende können vertonte Trainings beispielsweise im Großraumbüro und auf Reisen nicht hören, wenn sie keine Kopfhörer zur Verfügung haben. Auch hier können Untertitel Abhilfe leisten. Darüber hinaus kann eine schlechte Internetverbindung den reibungslosen Ablauf des Trainings stören, was sich oft durch ein kleines Dateiformat des Trainings vermeiden lässt.

Das Ziel: „Barrierefrei by Design“

Wenn es bei der Erstellung eines E-Learnings an Zeit und Budget mangelt, kann es ein „Quick Fix“ sein, die Lerninhalte barrierefrei als PDF zu präsentieren. So können Sie trotz geringen Aufwands die gewünschten Inhalte an alle Lernenden vermitteln.

Ein intuitives, ausgearbeitetes Training ist in der Regel jedoch effektiver und der Aufwand lohnt sich: Der Mehrwert eines effektiven Trainings, das alle Lernenden absolvieren können, wiegt die Mehrkosten in den meisten Fällen auf. Außerdem sollte man an dieser Stelle auch abseits kurzfristiger finanzieller Kennzahlen argumentieren. Denn ein Arbeitsplatz, an dem sich alle Mitarbeitenden wohlfühlen und Wertschätzung erfahren, bringt eine positive Kultur und dadurch langfristig diverse Vorteile mit sich. Außerdem: Viele, vermeintlich nur für eine Minderheit, hilfreiche Features können auch für die Allgemeinheit von Vorteil sein. Ein gutes Beispiel sind die LED-Benachrichtigungen bei Smartphones. Ursprünglich eine Funktion für Anwender mit einer Hörbehinderung, verwenden auch viele Hörende diese Funktion, weil sie das Klingeln des Smartphones aus verschiedenen Gründen oft nicht hören oder Vibrationen zu subtil sind.

Grafik: Barrierefreiheit als fester Teil der Projektroadmap

Entscheidet man sich dafür, ein barrierefreies E-Learning anzubieten, ist es sehr empfehlenswert, dies von Beginn an mit einzuplanen. So kann schon bei der Konzeption ein Auge darauf geworfen werden, Inhalte und Medien barrierefrei zu gestalten. Die Faustregel ist: Stellen Sie Informationen über mindestens zwei Sinneskanäle bereit (in den meisten Fällen visuell und auditiv). Ein sehr gutes Beispiel hierfür ist das Erklärvideo zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, welches Sie unter folgendem Link finden: Video zum AGG. Wichtig zu bedenken ist auch, dass das Beseitigen gewisser Barrieren konzeptionelle Einschränkungen mit sich bringt. Lernende, die motorisch eingeschränkt sind oder wegen einer Sehbehinderung auf einen Screenreader angewiesen sind, können keine Drag and Drop Aufgaben bewältigen. Es liegt dann an den Verantwortlichen, im Einzelfall zu entscheiden, ob auf komplexe konzeptionelle Mittel zu Gunsten der Barrierefreiheit verzichtet werden kann. Ist dies nicht der Fall und komplexe Interaktionen sind zentral für den Lernerfolg, bietet es sich an, neben der komplexen Form des Trainings eine vereinfachte, barrierefreie Version zu erstellen.

Für diejenigen, die ein E-Learning konzipieren, kann es anfangs schwierig sein, an jede potenzielle Barriere zu denken und auf Anhieb ein barrierefreies E-Learning für alle Lernenden zu gestalten. Denn es ist oft schwierig, sich in die Lernenden hineinzudenken, für die sich die Barrieren auftun. Doch davor sollte man keine Angst haben – es ist ganz normal, nicht alles auf Anhieb optimal zu gestalten. Umso wichtiger ist es, mit den Betroffenen zu sprechen, um ihre Bedürfnisse zu verstehen. Wenn ein Entwurf des E-Learnings fertig ist, sollte man nicht zögern, die Betroffenen testen zu lassen und sich Feedback einzuholen – so profitieren alle Beteiligten.

Fazit

Auch wenn die Entwicklung und Anpassung von barrierefreien E-Learnings oft kosten- und zeitintensiv ist, erhöhen angepasste E-Learnings die Reichweite Ihrer Inhalte – schließlich erreichen Sie nun eine zusätzliche Zielgruppe, die Sie vorher noch nicht bedient haben. Letztendlich haben Sie also auch einen unternehmerischen Vorteil und die Aufwände amortisieren sich relativ schnell. Viel wichtiger aber ist, dass Sie mit barrierefreien E-Learnings die Akzeptanz für Ihre digitalen Trainings erhöhen und die Zufriedenheit Ihrer Lernenden steigern können.

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